Eine sokratische Besinnung

Sokrates war ein großer Fragensteller, mancher fühlte sich wohl entlarvt, wenn er auf der Agora seine Fragen stellte. Die Agora ist heute weiter als damals in Athen, aber es bleibt der Auftrag des Fragens.

Sokrates: Wohin so eilig?

Fred: Zum Tennis!

Sokrates: Wo spielst du denn?

Fred: Nun, doch natürlich in dem besten Klub der Stadt.

Sokrates: So, du weißt also, welcher der beste ist?

Fred: Natürlich.

Sokrates: Das interessiert mich. Bei so vielen Dingen, habe ich vergeblich gefragt, was das ist, was etwas gut sein läßt. Ich bin glücklich, jemanden gefunden zu haben, der es weiß, wenn auch nur im Tennis. Darf ich fragen?

Fred: Bitte.

Sokrates: Sag mir, warum ist dein Klub der beste?

Fred: Weil man die besten Verbindungen bekommt.

Sokrates: Was für Verbindungen? Zum Tennisspielen?,

Fred: Ach wo, halt Verbindungen.

Sokrates: Aber sage mir, gehst du nicht in den Tennisklub, um Tennis zu spielen?

Fred: O ja, das auch.

Sokrates: Nun, dann sage mir, warum dein Klub für dein Tennisspielen der beste ist.

Fred: Weil da die besten Spieler sind.

Sokrates: Das ist eine überzeugende Antwort. Und dennoch: Sag mir, mein Freund, wenn es nun alles viel bessere Spieler sind als du – hast du schon einmal erlebt, daß bessere Spieler mit viel schlechteren spielen wollen?

Fred: Gewiß nicht.

Sokrates: Ist es dann nicht richtiger, in einen Klub zu gehen, wo die Spieler schlechter sind als du?

Fred: So könnte es scheinen, aber dann lerne ich nichts.

Sokrates: Das ist wahr. Also ist es wohl das beste, in einen Klub zu gehen, wo man gleich gute Spieler findet?

Fred: Offenbar.

Sokrates: Aber was heißt: gleich gute Spieler? Solche, die es glauben zu sein, oder solche, die es auch sind, wenn sie sich auch selber für besser halten?

Fred: Die es glauben und sind, denn die anderen würden dann doch wieder nicht mit mir spielen.

Sokrates: O weh, mein Lieber, was hast du da gesagt? Hast du schon erlebt, daß jemand, der mit einem anderen gleich gut ist, nicht meint, besser zu sein?

Fred: Ja, das ist wahr.

Sokrates: Ein solcher wird also nicht mit dir spielen mögen. Mit wem willst du also dann spielen, wenn die, die gleich gut sind, glauben zu gut zu sein?

Fred: Mit den schlechteren, die glauben gleich gut zu sein.

Sokrates: Aber dann lernst du doch wieder nichts. Und außerdem, wenn sie es merken, daß sie schlechter sind, werden sie sich nicht danach drängen, mit dir zu spielen, weil sie doch wollen, daß man sie für gleich gut hält.

Fred: Allerdings.

Sokrates: Es ergibt sich also, mein Lieber: nicht wegen der Spieler ist dein Klub der beste.

Fred: Aber es gibt doch Ranglisten und Ausscheidungskämpfe, die das ausgleichen.

Sokrates: Hast du nicht beobachtet, daß solche Herausforderungskämpfe Zwietracht stiften? Und daß es in den Augen des Verlierers immer Zufall oder Schuld des Schiedsrichters ist, wenn er verlor? Und daß die Gewinner umgekehrt sich nicht gerade drängen, ein Wiederholungsspiel zu spielen?

Fred: Wohl, aber es gibt doch einen Trainer im Klub.

Sokrates: Ach so, du meinst, der Klub ist der beste, bei dem, der Trainer am meisten zu sagen hat?

Fred: Ja.

Sokrates: Aber wenn der Trainer nicht das Richtige sagt?

Fred: Ich meine natürlich den Klub, der den besten Trainer hat.

Sokrates: Was verstehst du denn unter dem besten Trainer?

Fred: Nun, den, der die besten Stunden gibt.

Sokrates: Aber was nützt dir das, wenn der dann nichts zu sagen hat? Glaubst du, der wird dann Spieler finden, denen du deine Fortschritte beweist?

Fred: Das muß natürlich der Trainer machen, der stellt doch die richtige Rangliste auf.

Sokrates: O Gott, mein Lieber, je mehr du es mir erklären willst, um so unklarer wird mir die Sache. Bitte sei nicht böse, aber sage mir doch, was ist die richtige Rangliste?

Fred: Wie meinst du das?

Sokrates: Ich meine es so: Ist das die richtige Rangliste, wo der beste Spieler an der ersten Stelle und der schlechteste an der letzten Stelle steht?

Fred: Ich, glaube wohl.

Sokrates: Aber woher weiß man denn, wer der beste oder der schlechteste ist, wenn man keine Ausscheidungsspiele spielt?

Fred: Oh, das sagt der Trainer.

Sokrates: Und woher weiß der es?

Fred: Ach, der weiß es eben.

Sokrates: Aber hast du noch nicht gehört, daß mancher kluge Trainer nicht eine solche Rangliste aufstellt, sondern eine Rangliste, die er taktisch nennt?

Fred: Doch.

Sokrates: Wenn da nun der schlechtere Spieler vor dem besseren rangiert, meinst du nicht, daß der dann ein großes Interesse hat, jeden Vergleichskampf mit dem anderen zu vermeiden?

Fred: Offenbar.

Sokrates: Eine „kluge“ Rangliste bewirkt also, daß ernste Vergleichskämpfe nur mühsam zustande gebracht werden und das sportliche Spiel leidet.

Fred: So scheint es.

Sokrates: Ist es dann nicht besser, einen Klub zu haben, in dem man überhaupt keine ernsthaften Spiele veranstaltet, sondern nur Trainingskämpfe?

Fred: Es scheint so.

Sokrates: Aber meinst du wirklich, daß das etwas hülfe? Glaubst du, daß bloße Trainingskämpfe nicht „gewertet“ werden, wenigstens in den Garderoben?

Fred: Da hast du recht.

Sokrates: Der beste Klub wäre dann vielleicht der, wo man überhaupt nicht spielt?

Fred: Das nun doch nicht. Wozu wäre denn dann der Trainer da?

Sokrates: Aber wer ist nun eigentlich der beste Trainer? Du sagtest vorhin: der die besten Stunden gibt, Was meinst du damit? Der, dessen Stunden man für die besten hält, oder der, dessen Stunden es wirklich sind?

Fred: Der, dessen Stunden man für die besten hält und die es auch sind!

Sokrates: Aber wer ist dieses „man“? Der Sportausschuß? Oder der Vorsitzende? Oder wer?

Fred: Ich weiß nicht recht.

Sokrates: Ich würde denken: die, mit denen der Trainer spielt. Denn die wissen doch, was er für Stunden gibt.

Fred: Man sollte es meinen.

Sokrates: Aber spielt denn ein Trainer mit jedem auf die gleiche Weise? Ist er denn einfach eine Maschine?

Fred: Nein. Wenn es ihm gut scheint, sich anzustrengen, gibt er bessere Stunden.

Sokrates: Bessere Stunden, was meinst du damit?

Fred: Nun, daß er bei der Sache ist und zum Beispiel während der Stunde nicht mit den jungen Mädchen in der Nachbarschaft flirtet.

Sokrates: Meinst du nicht, daß er das weniger tut, wenn er selbst mit einem hübschen jungen Mädchen spielt?

Fred: Da hast du recht.

Sokrates: Der beste Trainer ist also der, der jungen Mädchen die besten Stunden gibt?

Fred: Es scheint so.

Sokrates: Ja, aber überlege doch einmal. Glaubst du eigentlich, daß man einen Trainer wegen der jungen Mädchen einstellt?

Fred: Nein.

Sokrates: Wer stellt ihn eigentlich ein? Meinst du nicht: diejenigen, die den größten Einfluß im Klub haben?

Fred: Gewiß, die das Portemonnaie haben, also vor allem die Senioren.

Sokrates: Ohne Zweifel. Also wäre der beste Trainer der, der mit den Senioren am eifrigsten spielt?

Fred: Ich weiß nicht recht.

Sokrates: Du siehst, die Sache ist nicht so einfach. Und überdies, vielleicht ist es bei dem Trainer so wie bei anderen Menschen auch. Vielleicht ist es gar nicht allein entscheidend, wie er selbst ist, sondern auch, wie seine Frau ist?

Fred: O ja, das kann schon sein Ich habe gehört, daß ein ganz hervorragender Trainer deshalb so wenig Erfolg hatte, weil seine Frau den Leuten so gar nicht gefiel.

Sokrates: Siehst du, so ist es. Und so ist es immer. Sogar wenn es sich um den Platzwart handelt. Es scheint ein unlösbarer Konflikt zu bestehen: Ist der Platzwart gut, dann ist seine Frau nicht zum Aushalten, und ist die Frau nett, dann macht es sich der Platzwart bequem. Oder wie?

Fred: Ja, es scheint so.

Sokrates: Aber darf ich wieder fragen, wer ist denn eigentlich ein guter Platzwart?

Fred: Oh, sehr einfach: der, der die Plätze gut instand hält.

Sokrates: Aber bleiben die Plätze nicht am besten instand, wenn man sie gar nicht benutzt?

Fred: Allerdings.

Sokrates: Der beste Platzwart ist also der, der die meisten Plätze sperrt oder gesperrt hält?

Fred: Aber darf er denn das?

Sokrates: Nun, entweder sind die Plätze zu naß, oder sie sind zu trocken. Oder sie sind für das nächste Turnier reserviert. Einen Grund gibt es doch immer. Du findest also den Klub am besten, in dem die meisten Plätze gesperrt gehalten werden?,

Fred: Ich glaube nicht.

Sokrates: Nun, dann sage mir doch endlich, was der beste Klub ist! Ich bin ganz in Verwirrung geraten. Nicht der, wo man die besten Verbindungen bekommt, nicht der, wo die besten Spieler sind, nicht der, wo der beste Trainer ist, nicht der, wo der beste Platzwart ist. Welcher also?

Fred: Vielleicht der, wo der beste Vorsitzende ist?

Sokrates: Vielleicht. Aber sage mir, wer ist der beste Vorsitzende? Der, vor dem alle Angst haben und der über alle herrscht, so daß keiner zu mucksen oder im Turnier zu verlieren wagt? Oder der, den man gar nicht merkt?

Fred: Ich glaube, der, den man gar nicht merkt.

Sokrates: Aber sage mir, wozu ist er dann überhaupt da?

Fred: Vielleicht merkt man ihn, wenn er nicht da ist.

Sokrates: Da hast du etwas sehr Kluges gesagt. Aber ich habe doch noch ein kleines Bedenken. Wenn man merkt, daß er nicht da ist, ist er doch unentbehrlich, und meinst du nicht, daß er selber das weiß?

Fred: Gewiß.

Sokrates: Und wenn einer weiß, daß er unentbehrlich ist, hast du schon einmal erlebt, daß er dann nicht seine Macht ausübt?

Fred: So scheint es.

Sokrates: Der beste Vorsitzende ist also der, den man etwas, aber nicht zu sehr merkt?

Fred: So wird es sein.

Sokrates: Vielleicht ist aber der Sportausschuß wichtiger als der Vorsitzende?

Fred: Ja, und der Vergnügungsausschuß.

Sokrates: Warum denn der?

Fred: Weil es ein Vergnügen sein soll, in einem Klub zu sein.

Sokrates: Das ist gewiß richtig. Aber sage mir, was ist das rechte Vergnügen im Klub? Meinst du nicht, daß der beste Klub in den Augen der meisten der sein wird, wo die hübschesten Mädchen sind und wo man vor und nach dem Turnier am nettesten tanzt und am meisten trinkt?

Sokrates: Und glaubst eigentlich, daß es die beste Vorbereitung auf ein Turnier ist, wenn man Vorabend tüchtig feiert?

Fred: Eigentlich nicht. Aber manchmal ist das doch ganz gut. Denn wenn man verliert, wird es am Ende mit dem Feiern nichts – und obendrein hat man dann eine Ausrede.

Sokrates: Du meinst also im Grunde das sei der beste Klub wo vor und nach dem Spielen am meisten los ist?

Fred: Ja. Jetzt sprichst du mir aus der Seele

Sokrates: Aber haben wir uns nicht darauf geeinigt, daß man in einen Tennisklub wegen des Tennisspielens geht?

Fred: Ja, das sagten wir.

Sokrates: Mir hat einmal jemand von einem Klub erzählt, ich. habe vergessen, wo der war. Da war alles ganz anders. Der Mann erzählte von dem Klub folgendes: „Als ich zum ersten Male in den Klub kam sah ich einen Herrn, der sehr gut spielte – und er spielte nicht auf dem ersten Platz. Ich fragte, wer das sei. Da sagte man mir, es sei der Klubmeister. Ich fragte, mit wem er spiele. Ach, mit einem aus der zweiten Mannschaft. Ist das wirklich wahr? fragte ich und machte mir meine Gedanken. Und als ich mich weiter in dem Klub umsah, da glaubte ich mich in eine verkehrte Welt versetzt. Als ich eingetreten, war wurde sofort ein, halbes Dutzend Spiele arrangiert, um meine Spielstärke kennenzulernen. Auch der Trainer sah öfter einmal zu und schlug mir danach neue Partner vor. Ich sah selber, wie er außer seinen Einzelstunden das Mannschaftstraining leitete. Da beobachtete er scharf, gab taktische Lehren, korrigierte Schläge, kombinierte Paare, und was, meinst du, das tat er sogar mit der, zweiten Damenmannschaft …“

Fred: (unterbricht): Das ist ja ganz unglaublich! Ich dachte der Trainer geht einer zweiten Mannschaft – und gar der Damenmannschaft – womöglich aus dem Wege.

Sokrates: Hör nur weiter , das ist noch gar nicht alles. Der Mann erzählte weiter: „Früher hatte ich gedacht, junge Leute spielen mit alten Bällen, und alte Herren spielen mit neuen Bällen. Hier dagegen bekamen. die, Junioren, nur ganz wenig angespielte Bälle von den Älteren geschenkt. Und ständig gab es ernsthafte Ausscheidungsspiele, auch bei den Junioren. Wenn jemand ein Spiel machte, holte er nicht die ganze Clique seiner Freunde als Zuschauer herbei. Er versuchte auch nicht, wenn es kritisch, stand, den Gegner zu irritieren. Er behauptet nicht plötzlich, der andere habe falsch gezählt oder ein Aus-Ball sei gut gewesen. Und wenn er trotz alledem, was er nicht tat, gewonnen hatte, was meinst du: da fragte er, wann sie das Rückspiel machen sollten, und sobald es dem Gegner recht war, trat, er wieder an. Und dann gab es da noch etwas Besonderes. Die, Sechzigjährigen führten ein eigenes Turnier durch. Und denk dir, sie waren so eifrig dabei, daß sie mit ihrem Turnier stets als erste fertig waren. Keiner wich aus, keiner zierte sich, sondern jeder war jederzeit spielbereit.“

Fred: (unterbricht): Ist. das wahr? Sind alte Herren denn anders als andere Leute?

Sokrates: Ich dachte eigentlich nicht. Ich meine das müssen Halbgötter gewesen sein. Und er erzählte weiter: „Ja, manchmal ist es mir wie im Traume. Das ist ja das Schöne am Sport und vor allem am Tennissport, wo einer ganz für sich allein steht, daß man gegeneinander kämpft, einander zu nahe zu kommen, ohne einander weh zu tun oder gar mit dem anderen verfeindet zu sein. Ich sehe Zeiten. kommen, in denen die Welt so etwas recht nötig haben wird. Immer mehr Menschen und Menschengruppen verfolgen ihren eigenen Existenzkampf blindlings, ohne überhaupt noch die anderen wahrzunehmen – es sei denn als Feind. Da ist der sportliche Wettkampf wie eine Erziehung zur Solidarität. Am Ende wird es überhaupt keine Klubs mehr geben, die nicht die Freuden des es Spiels meinen. Gerade im Tennis sehe ich eine weltweite Anteilnahme wachsen. Nicht nur, daß aus allen Schichten der Bevölkerung aktive Spieler kommen. Der Tennisplatz hat ja noch den besonderen Vorzug, daß er in seinen eigenen Maßen von den. Bildmaßen des Fernsehens hervorragend, erfaßbar ist. So sehe ich am Ende Millionen kommen, die diesen Wettkämpfen mit innerer Teilnahme folgen, ja, die, sich anstecken lassen. Denn vor ihnen spielt sich ein Kampf ab, den wir alle von uns selber her kennen, in dem ein, Selbstbewußtsein ins Wanken gerät und verliert, ein anderes Selbstbewußtsein sich wieder fassen lernt und siegt. Daran werden jung und alt sich ein Beispiel nehmen und werden in der Art und Unart, ihrer Lieblinge das eigene Schwanken und sieghafte Bestehen wiedererkennen. Wenn sie als Zuschauer wirklich mit dabei sind, werden sie das Selbstbewußtsein der eigenen Freunde mit den Stürmen ihres Beifalls stärken und trotzdem werden sie die Fairneß lernen, dem Können und dem Glück des anderen Beifall zu schenken. Sie werden warten lernen, bis ein Ball wirklich bis zu Ende gespielt ist, ohne durch ihren Beifall zu stören. Sie werden einen Doppelfehler des anderen nicht beklatschen und bei einem Netzroller, für den niemand etwas kann, werden sie nicht toben. Bei einem Streit, mit den Spielern, den Linienrichtern oder Schiedsrichtern werden sie den streitenden Parteien wünschen, sie möchten über der Leidenschaft des Spiels die Menschlichkeit des Irrens nicht vergessen, die auch die ihrige ist. Mancher möchte im Geheimen ein, Boris werden wollen oder eine Steffi, und doch wissen wir, daß es die schönen Stunden wahrer Selbstvergessenheit sind, die das sportliche Spiel, uns allen beschert. Man steht für sich allein und wird mit seinen Siegen belohnt, die Mut machen, und im Verlieren lernt man, den Mut nicht sinken zu lassen. Ist das nicht genug, sich so vor sich zu sehen und zu erkennen – wie im Spiel? Oder träume ich?“

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