Geistliches Wort für die Akademischen Monatsblätter
„Mama, Mama, schau mal!“ – Eine flüchtige Begegnung am Kirchplatz mit einer jungen Mutter und ihrem Kind, das gerade auf ein Podest gestiegen war. Die Mutter hat es nicht gesehen, konnte es auch gar nicht sehen. Sie saß auf der Bank gegenüber und schaute auf ihr Smartphone. Das Kind stampfte trotzig und rief noch einmal. Da sah die Mutter hoch und das Kind freute sich. Jetzt hatte es das Kind wirklich geschafft, die Mutter hat es durch ihren Blick bestätigt.
Es hatte das Podest erklommen, ein Hindernis im Leben überwunden und wollte den Erfolg zeigen. Wir brauchen die Rückmeldung von anderen Menschen. Durch ihren Blick schenken sie uns Ansehen und Würde. Nicht nur Kinder, auch Erwachsene brauchen dieses Feedback. Es müssen keine großen Menschenmengen sein oder gaffende Massen, es reicht ein wahrgenommener wertschätzender und teilhabender Blick für uns. Die Begegnungen Jesu mit den Frauen am Kreuzweg sind solche Blicke. Sie ändern die Situation nicht, sie scheinen ein Zeichen der Ohnmacht zu sein und sind doch Blicke, die tragen und wertschätzen.
Nach der Verstoßung der Magd Hagar, die Abram Ismael geboren hatte, erlebt sie etwas Ähnliches. Als die Tagesration Wasser zur Neige geht, sieht sie sich selbst ganz am Ende. (vgl. Gen 21,17-21) Sie sieht sich und ihren Sohn dem Tod ausgeliefert und erlebt in dieser Situation Gott als einen Gott mit wachsamem Blick, einer der noch nach ihr schaut. Der sie noch nicht dem Untergang weiht und ihr so die eigenen Augen öffnet, dass sie einen Weg für ihr Kind und sich findet, der zum Leben führt.
Auch im Handeln Jesu begegnet uns immer wieder die Erfahrung des wohlwollenden Blickes. Er wendet sich den Hilfesuchenden zu, schaut sie aufmerksam an, um ihnen zu helfen. Die Hilfe beginnt, wo ich nicht unsichtbar bin, sondern wahr- und ernstgenommen werde. Besonders markant ist das bei der Sünderin. Blicke die ausgrenzen und vernichten wollen bringen sie vor Jesus, der mit dem Blick der Liebe antwortet. So wendet sich das Los einer Frau, die ganz am Ende ist, der die Steinigung droht, durch den ermunternden Blick Jesu.
Natürlich gibt es auch die stechenden Blicke, die herausfordern. Blicke die ausgrenzen und schwer auf uns lasten. Blicke, unter denen wir unsicher werden und vor denen wir uns verbergen wollen. Immer wieder werden auch Gott solche Blicke zugeschrieben, obwohl er doch so anders handelt, sich den Menschen zuwendet und ihnen hilft Wege zum Leben zu finden. Gott sieht alles, aber nicht um uns zu strafen, sondern um Wege zum Leben zu öffnen. Eine Form der Gotteswahrnehmung, die für Viele hinter der Maske eines kleinlich aufrechnenden Gottes verborgen ist.
Beim Wahrnehmen des Blicks anderer zu uns geht es nicht darum erkannt oder durchschaut, sondern anerkannt zu werden. Ein anerkennender Blick muss nicht sofort urteilen, sondern nimmt die Situation wahr. Vor so einem Blick muss ich mich nicht rechtfertigen. Er muss nicht alles gutheißen oder loben, was er wahrnimmt, aber schenkt dem Gesehenen seine Anerkennung. Für unser geistliches Leben fasst es der Pfarrer von Ars, Johannes Maria Vianney, ganz schlicht zusammen, wenn er vom Wert des stillen Gebets vor dem Herrn sagt: Ich schaue ihn an und er schaut mich an.
In den ignatianischen Exerzitien wird immer wieder der Blick von verschiedenen Perspektiven auf das eigene Leben geübt. Mit der Unterscheidung der Geister, wagt der Christ verschiedene Perspektiven einzunehmen und „nach dem größeren Trost“ zu suchen. Bis hinein ins Äußerste, der Blick aus der Todesstunde auf das Leben. Kurz bevor das Leben seine größte Endgültigkeit erfährt, sich selbst gleichsam Anerkennung schenken. Dieser Blick schult uns auch über uns hinaus auf andere mit der wohlwollenden Aufmerksamkeit zu blicken und auch die wohlwollenden Blicke auf uns zu erkennen.
Anerkennung ist eine wichtige Ressource für uns Menschen. Sie hilft uns ausgeglichen zu leben und stärkt die Resilienz, also die Fähigkeit in den Herausforderungen des Alltags nicht unterzugehen. Verliebten sagt man nach, dass sie das nach außen ausstrahlen. Es ist auch die gegenseitige Anerkennung, die Verliebte schenken und geschenkt bekommen. Gerade deshalb sprechen Verliebte gerne in Superlativen über den oder die Geliebte.
Im Gebet werden wir uns dieser Anerkennung durch Gott bewusst. Mehr noch als die konkreten Worte des Gebetes, verinnerlichen wir im Gebet, dass Gott uns wahrnimmt. Der transzendente Gott wird in unserem Leben erfahrbar, immanent. So kann ich durch das Gebet – besonders in den Zeiten des stillen persönlichen Gebetes – auch lernen einen anderen Blick auf die Welt und die Menschen um mich zu gewinnen.
Die Erfahrung fehlender Anerkennung oder Wertschätzung gehören zum Leben eines jeden Menschen. Glücklich wer in diesen Situationen auf Gott vertrauen kann, wenn er weiß, dass Gott auf ihn schaut und ihn begleitet, dass er ihm Anerkennung schenkt. Der wohltuende Blick Gottes auf unser Leben ermutigt uns im Alltag aus der Erfahrung der Sicherheit heraus Gott zu verkünden. Er blickt auf uns wie Gott, der es ernst meint mit uns und uns Leben in Fülle schenken will.
So liegt es an mir meinen Blick zu üben. Die Wahrnehmung meiner Welt mit dem Blick liebender Aufmerksamkeit zu wagen und zu spüren, dass ich vielfältige Zeichen erlebe, die mir Mut und Wertschätzung schenken können. Ein Wahrnehmender und ein Wahrgenommener zugleich sein, der unter dem liebenden Blick Gottes lebt.
Reinhard Röhrner